Unternehmenskultur

Die Entwicklung praxistauglicher, innovativer Arbeitsmodelle für kommunale Energieversorger erfordert die Einbettung in und den Abgleich mit den kontextuellen Gegebenheiten des Unternehmens. Insbesondere für die Praxistauglichkeit sowie die Diffusion und Verankerung neuer Modelle, Ideen und Prozesse spielen die Unternehmenskultur sowie bestehende Initiativen und übergreifende Strategien und Visionen eine entscheidende Rolle.

Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsansätze

Die Bedeutung der Unternehmenskultur für Veränderungsprozesse wird u.a. von Gerdenitsch und Korunka (2019) hervorgehoben. Die erfolgreiche Einführung veränderter Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodelle erfordert ihnen zufolge u.a. die klare Festlegung von Spielregeln des veränderten Arbeitens, die Stärkung einer Vertrauens- und Feedbackkultur sowie die
Einbettung der Veränderungsprozesse in ein Verständnis des Betriebs als „lernende Organisation“ (ebd., S. 94-97).

García-Cabrera und García-Barba Hernández (2014) betonen zudem, wie bedeutsam es ist, die Mitarbeitenden durch Information und Partizipation an den betrieblichen Veränderungsprozessen zu beteiligen. Dadurch können Widerstände bei den Beschäftigten in Bezug auf die Veränderungen reduziert werden. Marchington und Kynighou (2012) verweisen auf Basis ihrer Untersuchung allerdings auf eine mögliche umgekehrte Kausalität. Dabei ist die von ihnen beobachtete Partizipation eher eine Folge der bestehenden Unternehmenskultur und kein Modus zu deren Veränderung.

Beispiele aus der betrieblichen Praxis

Eine zentrale Stellschraube, die Digitalisierung der Arbeit bei kommunalen Energieversorgern beeinflusst, ist die Unternehmenskultur, die nach wie vor teilweise geprägt scheint von früheren Erfahrungen aus Zeiten vor der Liberalisierung der Strommärkte, in denen kommunale
Energieversorgung oftmals in quasi monopolistischen Strukturen agierten. Die „alte“ Welt kritischer Infrastruktur mit ihrer Unternehmenskultur, die an Sicherheit, langfristiger Planung sowie hierarchischem und prozessualem Denken ausgerichtet ist, trifft auf eine neue, schnelle, unstete Welt digitaler Transformation, in der nichts mehr fix scheint und Transformationen lieber schnell als perfekt umgesetzt werden. Gleichzeitig hat der „alte“ Sicherheitsgedanke nichts von seiner Aktualität eingebüßt, sondern muss sich vielmehr in neuen Strukturen behaupten, die den notwendigen Grundlagen zuwiderlaufen. Dementsprechend stellte sich im Rahmen der Anforderungsanalyse in den Gesprächen in den an AKTIV-kommunal beteiligten Unternehmen heraus, dass der Beginn der Entwicklung innovativer Arbeitsmodelle darin bestehen sollte, zunächst das Problem zu definieren, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln sowie ein Mindset zu schaffen, das ein Neu- und Umdenken überhaupt erst ermöglicht: Mit dem Mindset eineseiner Designerin müssen Arbeitsmodelle zunächst als etwas definiert werden, das nicht länger fix und starr ist, sondern das proaktiv gestaltet werden kann. Ziel der Gespräche im Unternehmen war daher nicht nur, Zielkriterien für innovative Modelle herauszufinden, sondern auch vernetztes Denken, Offenheit und Austausch als Basis für die langfristige Zusammenarbeit im Projekt AKTIV-kommunal zu etablieren sowie den Prozess der Gestaltung und Entwicklung innovativer Modelle selbst zu gestalten. Beschäftigte, Führungskräfte und betriebliche Normsetzungsakteure stehen dabei als Mitgestaltende und Mitbestimmende im Mittelpunkt. Im Sinne der Grundidee des Forschungs- und Entwicklungsprojektes AKTIV-kommunal geht es dabei insbesondere darum, die Chancen zu nutzen, die die Digitalisierung für Beschäftigte bietet und dabei die Risiken in den Blick zu nehmen, die mit dem (technologischen) Wandel einhergehen. Es ist ein Ergebnis der Anforderungsanalyse, dass diesbezüglich ein klares Kommunikationskonzept entwickelt werden muss, das Management, Führungskräfte, Beschäftigte sowie die betriebliche Interessenvertretung adressiert. Hierbei ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Unternehmenskultur verstanden, Konfliktlinien identifiziert und die politischen Gegebenheiten im Unternehmen bei der Modellentwicklung berücksichtigt werden.

In der betrieblichen Praxis im Rahmen des Projekts „AKTIV-kommunal“ ergeben sich verschiedene Themen, die im Rahmen der Entwicklung und Umsetzung innovativer Arbeitsmodelle adressiert werden müssen. Diese sind in folgender Liste zusammengefasst:

  • Fehlerkultur: Etablierung eines konstruktiven Umgangs mit Problemen, Fehlern, sowie (präventiv) auch Herausforderungen.
  • Umgang mit Herausforderungen und/oder Scheitern (im Kleinen sowie im Großen): Hierzu gehört auch der konstruktive sowie lösungsorientierte Umgang mit Problemen und Herausforderungen.
  • Aufbau bzw. Festigung einer Vertrauenskultur: Dies hängt eng mit den beiden oben genannten Punkten „Fehlerkultur“ und „Umgang mit Scheitern“ zusammen. Eine Kultur des Vertrauens bildet hierbei die Grundlage, sie wird durch einen guten Umgang mit Fehlern und konstruktive Mechanismen der Konfliktbearbeitung gestärkt, bildet jedoch gleichzeitig die notwendige Voraussetzung u.a. einer guten Fehlerkultur.
  • Burgdenken: Viele betriebliche Beteiligte tendieren dazu, in ihrem gewohnten Umfeld zu verharren, dieses zu verteidigen und wenig über ihren Tellerrand hinauszublicken. Doch neue Formen der Arbeit bedürfen eines gewissen Maßes an Offenheit, Lust am Ausprobieren und Neues kennenlernen. Zwei Kernkompetenzen zum Abbau des Burgdenkens: „Andere nachvollziehen können“ und „sich selbst nachvollziehbar machen“; diese sollten im Verlauf des Projektes thematisiert und nachgehalten werden.
  • Konstruktiver Umgang mit Bedenken: Bedenken sind Hinweise für relevante Themen und dementsprechend zu behandeln. Denn Bedenken verschwinden nicht, wenn sie nicht ausgesprochen werden, im Gegenteil: Sie schwelen im Untergrund und können in der praktischen Umsetzung neuer Modelle sehr hinderlich werden. Im Dialog mit betrieblichen Beteiligten muss es folglich darum gehen, was mit Bedenken getan werden kann, nicht gegen Bedenken.
  • Gesprächskultur: Neue Arbeitsmodelle erfordern Kommunikation. Diese sollte direkt und im Sinne des Dialogs der „kurzen Wege“ zwischen allen Stakeholdern, auch über hierarchische Linien hinweg erfolgen → Einrichtung von Dialogforen; klare Benennung von Ansprechpersonen (insb. während der Vorbereitung und Durchführung der Umsetzung müssen alle Beteiligten wissen, wer als Ansprechperson für welche Themen zur Verfügung steht → Kommunikationskonzept notwendig).
  • Einbezug aller Stakeholder: Kommunikation und Austausch sind wichtig. Daher ist es unumgänglich, alle relevanten Stakeholder in die Entwicklung und Umsetzung innovativer Arbeitsmodelle einzubeziehen. Wichtige Stakeholder sind beispielsweise die Beschäftigten selbst, Geschäftsführung, die Personalentwicklung, der Datenschutz, das betriebliche Gesundheitsmanagement/arbeitsmedizinischer Dienst und die betriebliche Mitbestimmung, nicht nur bei mitbestimmungspflichtigen Themen.
  • Kritische Begleitung und Evaluation: Weder alles schönreden noch schlechtreden → Balance finden zwischen Wahrnehmung der Chancen und Schutz vor Risiken.
  • Innere Haltung: Das Mindset eines*einer Designer*in muss aufgebaut und nachgehalten werden → es ist von entscheidender Bedeutung, dass eine konstruktive Einstellung gegenüber dem Veränderungs- und Innovationsprozess entwickelt und nachgehalten wird. Die Beschäftigten sind i.d.R. nicht daran gewöhnt, ihre eigene Arbeitssituation zu gestalten und zu reflektieren → wenn in einem nutzer- und mitbestimmungsorientierten Veränderungsprozess Beschäftigte als Mitgestaltende und Mitbestimmende einbezogen werden sollen, ist die Etablierung und Festigung der entsprechenden inneren Haltung unerlässlich
  • Die praktische Umsetzung theoretischer Modelle und strategischer Entscheidungen muss im Vordergrund stehen: Alle Ideen sollten möglichst rasch als Prototypen umgesetzt und erfahrbar gemacht werden → Idee: wenn etwas nicht funktioniert, sollten die Projektpartner*innen dies möglichst schnell wissen (frühes Scheitern als effiziente Innovationsmethode).
  • Teamwork und Selbstorganisation als Voraussetzung: Insbesondere eine selbstbestimmte Arbeits(zeit)gestaltung stellt hohe Ansprüche an die Selbstorganisation sowohl auf individueller Ebene als auch für Teams. Dabei betrifft dieses Thema Beschäftigte und Führungskräfte gleichermaßen.
    • HINWEISE FÜR BETRIEBLICHE PRAXIS: Im Rahmen von AKTIV-kommunal wird Führung als eigenes Umsetzungsprojekt thematisiert. Insbesondere auch Selbstorganisation und Reflexion der eigenen Führungsrolle angesichts der Herausforderungen neuer Arbeitswelten, sind hier relevante Themen. Weitere Informationen zum Teilvorhaben „Führung“ finden sich auf der Projekthomepage www.aktiv-kommunal.de

Dabei gilt es auch, die Prozesse, Initiativen und Projekte zu berücksichtigen, die im Unternehmen bereits vonstattengehen. Sie geben wertvolle Hinweise auf mögliche Erfolgsfaktoren, Stolpersteine und Erfahrungen, die es zu vermeiden gilt. Im Falle von AKTIV- kommunal waren das beispielsweise (Auszug):

  • Designer*innen Mindset schaffen: Im Unternehmen war das Denken in Problemen und einem starren Rahmen weit verbreitet. Es wurde bewusst gemacht, dass Arbeitsmodelle keine starren Gebilde sind, die es umzusetzen gilt. Vielmehr handelt es sich um Situationen, die auch individuell gestaltet werden können.
  • Top-Down-Bottom-Up-Strategie: Bereits im Kulturwandelprojekt wurden die Beschäftigten an vielen Stellen einbezogen. Im Projekt AKTIV-kommunal wurde die Partizipation fortgesetzt und intensiviert.
  • Unterstützung und Empowering der Beschäftigten: Erfolgreichen Veränderungen und Innovationen geht oftmals Beteiligung voraus. Beschäftigte müssen ermutigt und unterstützt werden, neue Ideen zu finden, sie zu äußern und ggf. auszuprobieren.
  • Zentrale Rolle nicht-kognitiver Kompetenzen: In vielen Projekten hatte sich bereits gezeigt, dass nicht-kognitive Kompetenzen wie Kommunikationsverhalten, Kooperationsbereitschaft, Empathie und Kreativität ein entscheidender Erfolgsfaktor ist – auch für Führungskräfte. Sie bilden die Voraussetzung u.a. für eine gute Fehlerkultur, Verständnis füreinander und einer offenen Einstellung gegenüber Neuem.
  • Anders führen: Wenn sich die Arbeitsorganisation und Arbeitsweise verändern und Beschäftigte selbständiger arbeiten, wird eine andere Art der Führung notwendig. Kompetenzen verlagern sich beispielsweise zunehmend auf die unteren Ebenen (Subsidiarität von Entscheidungen) und die Beschäftigten müssen auf Distanz geführt werden.
  • Persönliche Vorteile für die Beschäftigten und Führungskräfte: Die Arbeitsbelastung war zu Beginn des Projekts bereits sehr hoch. Dies galt es zu berücksichtigen, denn Veränderungen und Neuerungen erst einmal Mehrarbeit bedeutet. Unterstützung und Beteiligung kann daher nur erreicht werden, wenn der Mehrwert für Beschäftigte und Führungskräfte an jedem Punkt deutlich gemacht wird.

Hinweise für die Gestaltung innovativer Arbeitsmodelle

Innovativ“ bedeutet: neu + gut. Wer solche Arbeitsmodelle entwickeln will, die zudem
praxistauglich und für konkrete Unternehmen bzw. Abteilungen „maßgeschneidert“ sind und den Ausgleich der Interessen von Beschäftigten, (kommunalem) Betrieb und Kundschaft leisten sollen, braucht ein fundiertes Verständnis der Tätigkeiten, für die Modelle entwickelt werden.

Verständnis setzt Verstehen voraus!

Nur wer Arbeitsprozesse, Interaktionen, Tätigkeiten und Anforderungen analysiert hat und versteht, kann maßgeschneiderte Modelle designen. Im Rahmen von AKTIV-kommunal war daher die von INPUT consulting mittels Interviews und Tätigkeitsbeobachtungen durchgeführte Anforderungsanalyse eine Voraussetzung für den weiteren Projektverlauf. Allerdings gilt, dass nicht nur begleitende Externe, sondern auch Interne diejenigen Tätigkeiten (besser) kennenlernen und verstehen müssen, für die Modelle entwickelt werden – schließlich bleibt im Alltag „jeder bei seinen Leisten“ und erlangt kaum tiefgehende Einblicke in andere Tätigkeiten. Insbesondere für flexible und autonome Arbeitsgestaltung ist es unerlässlich, dass die Stakeholder ein Verständnis füreinander entwickeln und ihre jeweiligen Tätigkeiten und Rollen im Unternehmen gegenseitig besser verstehen. Andere Menschen und die Erfordernisse ihrer Arbeit nachvollziehen zu können, ist für die nutzerorientierte Gestaltung von Arbeitsmodellen ebenso unerlässlich wie die Kompetenz, sich selbst und die eigene Tätigkeit für andere nachvollziehbar zu machen. Dies hat auch mit Wertschätzung füreinander und für andere Berufe zu tun – und gehört daher zum Themenkreis der Unternehmenskultur.

Im Rahmen von AKTIV-kommunal wurde daher angeregt, dass nicht nur die beteiligten Wissenschaftlerinnen, sondern auch unternehmensinterne Projektbeteiligte die Umsetzungsabteilungen und konkrete Tätigkeiten und Anforderungen besser kennenlernen. Daher wurde die Anforderungsanalyse in Teilen von Projektbeteiligten wiederholt – Personalleitung und Projektteam waren für einige Stunden z.B. zu Gast im Kundenmanagement, um die Anforderungen an Arbeitsmodelle besser zu verstehen. Die Wertschätzung gegenüber den Kolleginnen und anderen Berufen, die durch den Besuch zum Ausdruck kam, trägt zum Gelingen der Entwicklung und Umsetzung innovativer Arbeitsmodelle ebenso bei, wie das fundierte Praxiswissen, das die Projektbeteiligten durch den unmittelbaren Austausch erworben haben.