Arbeitszeit

Folgendes Kapitel ist dem Thema „Arbeitszeit“ gewidmet und umfasst somit zentrale Grundlagen mobilen, flexiblen Arbeitens. In diesem Kapitel, wie auch in allen folgenden, wird zunächst der rechtliche Rahmen dargelegt, in dem sich innovative Arbeitsmodelle bewegen können. Im Anschluss werden zentrale arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungs- ansätze sowie Beispiele aus der betrieblichen Praxis zusammengetragen, bevor Hinweise für das Design innovativer Modelle gegeben werden. Ein Verzeichnis weiterführender Literatur komplettiert das jeweilige Kapitel.

Rechtlicher Rahmen

In den folgenden Abschnitten werden Inhalte und Regelungen dargelegt, die für Arbeitszeitgestaltung relevant sind. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder (Rechts-) Gültigkeit.

Gesetze

  • Arbeitszeitgesetz (ArbZG) § 3: Grundsätzlich darf die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten; d.h. bei einer möglichen 6-Tage-Woche maximal 48 Wochenarbeitsstunden. Maximal darf die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden ausgedehnt werden, sofern innerhalb von sechs Monaten der Durchschnitt von acht Stunden Arbeitszeit pro Tag nicht überschritten wird.
  • ArbZG § 16 Abs. 2 – Pflicht des Arbeitgebers: Arbeitszeiten, die über die tägliche Höchstarbeitszeit von 8 Stunden hinaus gehen, müssen zwingend aufgezeichnet werden.
  • ArbZG § 4 und § 5 – Ruhe- und Pausenzeiten:
    • Pausenzeiten von 30 Minuten ab 6 Arbeitsstunden bzw. 45 Minuten bei über 9 Arbeitsstunden müssen eingehalten werden (vgl. ArbZG § 4)
    • Tägliche ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden zwischen Arbeitsende und Arbeitsanfang (vgl. ArbZG § 5)
  • ArbZG § 9: Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist grundsätzlich verboten.
  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) § 80 und § 87 Abs. 1: Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung der Arbeitszeiten und Pausen.

TV-V

  • Der Tarifvertrag Versorgung (TV-V) legt eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden fest (Abs. 1), die im Jahresdurchschnitt zu erbringen ist (Abs. 2).
  • Alternativ kann durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen ein wöchentlicher Arbeitszeitkorridor von bis zu 45 Stunden eingerichtet werden (Abs. 6). Arbeitszeit innerhalb dieses Korridors ist nicht zuschlagspflichtig.
  • Wöchentlicher Arbeitszeitkorridor oder tägliche Rahmenarbeitszeit kann nur alternativ
  • eingeführt werden (Abs. 8)
  • Zudem kann durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung in der Zeit von 6 bis 21 Uhr eine tägliche Rahmenzeit von bis zu 13 Stunden eingeführt werden (Abs. 7). Auch hier ist Arbeitszeit innerhalb dieses Korridors nicht zuschlagspflichtig.
  • Die Arbeitszeit kann auf 5 Tage, aus notwendigen betrieblichen Gründen auch auf 6 Tage, verteilt werden (Abs. 1)
  • Abweichungen von ArbZG §§ 7+12 aus dringenden betrieblichen Gründen (Revision, Störung, außergewöhnliche Reparaturarbeiten) durch BV möglich (Abs. 4)
  • § 9 Sonderformen der Arbeit:
    • Nachtarbeit ist Arbeit zwischen 21 und 6 Uhr (Abs. 5)
    • Überstunden sind auf Anordnung des Arbeitgebers geleistete Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit der für die Woche dienstplanmäßig oder betriebsüblich festgelegten Arbeitsstunden hinausgehen (Abs. 7).
    • Überstunden sind bei Festlegung eines Arbeitszeitkorridors nur die über 45 Stunden oder die vereinbarte Obergrenze hinausgehenden Arbeitsstunden (Abs. 8a)
    • Überstunden sind bei Festlegung einer täglichen Rahmenzeit nur die außerhalb der Rahmenzeit erbrachten Arbeitsstunden (Abs. 8b)

Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsansätze

Flexible Arbeitszeiten

  • Unregelmäßige Arbeitszeiten (v.a. Schichtarbeit) können zu einer Desynchronisierung der biologischen und sozialen Rhythmen führen; die Folge können sowohl gesundheitliche als auch soziale Beeinträchtigungen sein (Janßen und Nachreiner 2004).
  • Längere Arbeitszeiten hängen mit einer deutlichen Erhöhung des Beeinträchtigungsrisikos (Herz-, Magenbeschwerden, Rückenschmerzen, Schlafstörungen) zusammen; lange wöchentliche Arbeitszeiten hängen mit gesundheitlichen Beeinträchtigung und einer Verschlechterung der Work-Life-Balance zusammen (Wirtz et al. 2009; Wirtz 2010).
  • „Arbeit am Abend und Wochenenden bedeutet Arbeit zu sozial ungünstigen Zeiten“ (Arlinghaus 2017, S. 8). Bisherige Studien bestätigen Beeinträchtigung der (psychischen) Gesundheit und eine als schlechter wahrgenommene Work-Life-Balance (Greubel et al. 2014).
  • Eine Unterbrechung des Arbeitstags in zwei oder drei Schichten kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen; eindeutige empirische Erkenntnisse liegen nicht vor, jedoch deuten einige Befunde in puncto geteilte Dienste auf gesundheitliche Beeinträchtigungen hin (Bockelmann et al. 2016).
  • Vertrauensarbeitszeit stellt hohe Anforderungen an die Beschäftigten und die Führungskräfte: die Anforderungen an die Fähigkeit zum Selbstmanagement sind enorm hoch und Ziele müssen realistisch eingeschätzt werden. Ansonsten droht eine, insbesondere zeitliche, Überforderung der Beschäftigten, was zu überlangen Arbeitszeiten und Stress führen kann (BAuA 2008).
  • Greubel et al. (2014) zeigen anhand europäischer Daten abhängig Beschäftigter (n = 35.187), dass sich bei variablen Arbeitszeiten (jenseits von Schichtarbeit) auch das Risiko für Arbeitsunfälle mit Fehlzeiten erhöht.
  • Eine Studie von Paridon (2015) zeigt, dass Schichtarbeit und lange Arbeitszeiten mit gesundheitlichen Beschwerden zusammenhängen. Variable Arbeitszeiten können darüber hinaus Gesundheit und Wohlbefinden beeinträchtigen. Im Gegensatz dazu können (Kurz-) Pausen dazu beitragen, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten.
  • Seifert (2007) deutet den Wandel der Arbeitszeitstrukturen als Ausdruck einer systematischen Ökonomisierung der Arbeitszeit. Hierbei besteht die Gefahr, dass variable Verteilungsmuster, so eine Deutung des Autors, den Forderungen nach alterns- und familiengerechten Arbeitszeiten hochgradig zuwiderlaufen können, wenn sie nicht von Regelungen, welche die Risiken für Beschäftigte unterbinden, eingefasst und untermauert werden.

Ruhezeit

  • Ruhezeiten unter 11 Stunden haben i.d.R. eine Verkürzung der Schlafdauer zur Folge, was wiederum zu einer unzureichenden Erholung und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit führt (Arlinghaus 2017, S. 8–9).
  • Das Abschalten von der Arbeit – sogenanntes detachment – besitzt eine unmittelbare Bedeutung für die Sicherung der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit sowie für das Wohlbefinden und die Gesundheit. Die schleichende Lösung der physischen und räumlichen Trennung von Arbeits- und Ruhezeit erschwert das detachment (vgl. Wendsche und Lohmann-Haislah 2016)
  • „Eine Verkürzung der Ruhezeit kann negative Folgen für Sicherheit und Gesundheit haben. Neben einer angemessenen Schlafdauer ist in der Ruhezeit auch eine sogenannte „Obligationszeit“ zu berücksichtigen. Hierzu gehören Pflichten und notwendige Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit, wie Fahrtzeit zur und von der Arbeit, Zeit für Nahrungszubereitung und -aufnahme und Hygieneaktivitäten (unberücksichtigt bleiben Zeiten für Kindererziehung und Pflege). Rechnet man eine mittlere Schlafdauer von acht Stunden sowie eine Stunde Fahrtzeit, anderthalb Stunden für Nahrungszubereitung und-aufnahme und 30 Minuten für Hygiene, ergeben sich bereits 11 Stunden. Verkürzt man diese Zeit, besteht die Gefahr, dass entsprechender Zeitdruck entsteht und man z.B. riskanter fährt, wodurch sich wiederum das Risiko eines Wegeunfalls erhöht.“ (Deutscher Bundestag 2016, S. 4)

Beispiele aus der betrieblichen Praxis

Oftmals werden die durch das Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen 11 Stunden Ruhezeit bei flexibler Arbeit als problematisch und dem Gedanken der Selbstbestimmung der Beschäftigten widersprechend angesehen. Der Tarifvertrag der IG Metall zum mobilen Arbeiten 2018 sieht daher eine Verkürzung der Ruhezeit vor (IG Metall 2018). Hier heißt es in § 5:

„Für Beschäftigte in mobiler Arbeit verkürzt sich die Ruhezeit zwischen Beendigung der täglichen Arbeitszeit und der Wiederaufnahme auf bis zu neun Stunden, wenn sie das Ende an diesem Tag oder den Beginn der täglichen Arbeitszeit am Folgetag selbst festlegen können. Für jeden Fall der Verkürzung ist innerhalb von sechs Monaten eine entsprechende Verlängerung der Ruhezeit einzuhalten.“

Hinweise für die Gestaltung innovativer Arbeitsmodelle

Da Beschäftigte im Rahmen mobiler Arbeit ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlicher gestalten und somit stärker in der Pflicht sind, selbst sicherstellen müssen, dass sie Regelungen wie das Arbeitszeitgesetz einhalten, müssen die Beschäftigten über die geltenden Bestimmungen informiert werden. Im Rahmen der Umsetzungsphase von AKTIV-kommunal wurde daher ein sogenannter „Beipackzettel“ zum Thema entwickelt, der die Beschäftigten mit Informationen versorgen und Richtlinien an die Hand geben soll. Zentral hierbei ist, dass alle Informationen, die an Beschäftigte ausgegeben werden, u.a. mit Sicherheitsbeauftragten der betreffenden Unternehmen sowie dem Betriebsrat abgestimmt sind. Darüber hinaus ist es wichtig, Ansprechpersonen zu nennen, die den Beschäftigten bei Fragen zur Verfügung stehen.

Folgender Text ist ein Beispiel für einen „Beipackzettel“ zum Thema Arbeitszeit

Beipackzettel Arbeitszeit
Quelle: Eigene Entwicklung

Literaturhinweise

  • Arbeitszeitgesetz: https://www.gesetze-im-internet.de/arbzg/BJNR117100994.html
  • Arlinghaus, Anna (2017): Wissensarbeit. Aktuelle arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse. Hg. v. – Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf.
  • BAuA (2008): Im Takt? Gestaltung von flexiblen Arbeitszeitmodellen. Hg. v. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund-Dorstfeld. Online verfügbar unter http://inqa.gawo-ev.de/cms/uploads/Broschuere%20Im%20Takt%20- Gestaltung%20von%20flexiblen%20Arbeitszeitsystemen.pdf?phpMyAdmin=Xr78vEy9vt 0o%2Cxb0Dy0xDi0dA29&phpMyAdmin=19e16be51a9caef756465b0a0e7e4930, zuletzt geprüft am 19.03.2019.
  • Bockelmann, Martina; Arlinghaus, Anna; Nachreiner, Friedhelm (2016): Disability for service in public transport operations: Risk factors anmd interventions. In: Christopher Schlick, Barbara Demel, Patricia Stock und Ralph Bruder (Hg.): Advances in Ergonomic Design of Systems, Products and Processes. Proceedings of the Annual Meeting of GfA 2016. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, S. 137–147.
  • Deutscher Bundestag (Hg.) (2016): Gesetzliche Regelung der Arbeitszeit und Teilzeitbeschäftigung in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten. Berlin (Wissenschaftliche Dienste, 084/16).
  • Göke, Heupel (BMWi) (Hg.) 2013 – Wirtschaftliche Implikationen des demografischen Wandels
  • Greubel, Jana; Arlinghaus, Anna und Friedhelm Nachreiner (2014): Arbeitszeitflexibilität auf Kosten der Sicherheit? – Zum Zusammenhang zwischen der Variabilität der Arbeitszeit und der Häufigkeit von Arbeitsunfällen. In: Z.Arb.Wiss, 68, 2014, 2, S. 89ff.
  • IG Metall (2018): Tarifvertrag zum mobilen Arbeiten in der Edelmetallidustrie Baden- Württemberg.
  • Janßen, Daniela; Nachreiner, Friedhelm (2004): Flexible Arbeitszeiten. Bremerhaven: Wirtschaftsverl. N.W Verl. für neue Wissenschaft (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Forschung Arbeitsschutz, 1025).
  • Klein-Schneider, Hartmut (2005): Flexible Arbeitszeit. Betriebs- und Dienstvereinbarungen; Analyse und Handlungsempfehlungen. 2., unveränd. Aufl. Düsseldorf: Hans-Böckler- Stiftung (Edition der Hans-Böckler-Stiftung, 6).
  • Paridon, Hiltraut (2015): Arbeitszeit und Gesundheit: Befunde zu Dauer, Lage und Variabilität.
  • In: Z.Arb.Wiss, 69, 2015, 1.
  • Seifert, Hartmut (2007): Arbeitszeit – Entwicklungen und Konflikte; In: Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) (Hg.) (2007): APuZ zum Thema „Arbeit online unter: http://www.bpb.de/apuz/30691/arbeitszeit-entwicklungen-und-konflikte, zuletzt abgerufen am 2. Juli 2018.
  • Wendsche, Johannes; Lohmann-Haislah, Andrea (2016): Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Pausen. Hg. v. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dortmund/Berlin/Dresden. Online verfügbar unter https://www.baua.de/dok/7930458, zuletzt geprüft am 04.09.2017.
  • Wirtz, Anna Katharina (2010): Lange Arbeitszeiten. Untersuchungen zu den gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen langer Arbeitszeiten. Dissertation. Carl von Ossietzky, Oldenburg. Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften. Online verfügbar unter http://oops.uni-oldenburg.de/928/1/wirlan10.pdf, zuletzt geprüft am 29.02.2016.
  • Wirtz, Anna Katharina; Nachreiner, Friedhelm; Beermann, Beate; Brenscheidt, Frank; Siefer, Anke (2009): Lange Arbeitszeiten und Gesundheit. Hg. v. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Berlin.